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Légionnaire toujours...

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1950

Gardez vous

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15.11.1950

Bevor der desertierte Fremdenlegionär Franz Goretzki, 20jähriger kölscher Jung, spät abends den Kohlenhof verläßt, wo er jetzt arbeitet, blickt er erst vorsichtig die schmale Gasse in Köln-Ehrenfeld entlang: Ob da vielleicht ein Auto auf ihn wartet, das ihn entführen könnte.

Seit er vor fünf Wochen mit der "Lissekerk", einem Passagierdampfer der Vereenigde Nederlandsche Scheepvaartmaatschappij, einen Bogen um die auf ihn in Marseille wartende französische Hafenpolizei machte, quält ihn die Zwangsvorstellung: Du wirst einmal noch geschanghait.

"Aber solange ich noch japsen kann, passe ich schon auf", steift ihm sein zehn Jahre älterer Bruder den schmalen Rücken. Er benachrichtigte gleich das britische Public-Safety-Office, als Franz kürzlich verdächtige Post bekam und in der Nachbarschaft der Goretzkischen Wohnung in der Senefelderstraße auffällige Nachfragen gehalten wurden. Aber es waren nur Reporter.

Beide Brüder Goretzki haben in der Fremdenlegion gestanden. Der Aeltere wurde 1945 in Nordafrika mit Resten der Strafeinheit 999 den Franzosen übergeben und vor die Wahl gestellt: Stacheldraht oder Fremdenlegion.

Den Jüngeren schickte die Mutter im Hungerherbst 1947 Kartoffel hamstern - zu Bekannten im Westerwald. Die am 24. Oktober angetretene Fahrt endete neun Wochen später im französischen Legionärs-Rekrutendepot Sidi bel Abbes in Algerien.

Franz, damals erst 17 Jahre, hatte sich auf seiner Kartoffeltour bereits beim Uebergang von der britischen in die französische Besatzungszone in Remagen auf eine gefährliche Fährte begeben.

"Votre passe-porte, s'il vous plait." Französische Militärpolizei kontrollierte Passierscheine und Ausweise. Franz, ohne gültigen Passierschein, fingerte eine abgegriffene Kennkarte aus der Brusttasche. "Merde! Komm raus!"

Das kostet 75 Mark Strafe", zischte der deutsche Polizist ihm auf dem Bahnsteig zu, während die Poilus wissen wollten, was er in der französischen Zone suche. "Wohl Wein schmuggeln, he?"

"Nix Wein", beteuerte Franz ehrlich. Da fiel ihm ein, daß er auch von Kartoffeln nichts sagen dürfe, weil die Ausfuhr der damals so knappen Knollen aus der französischen Zone streng verboten war. Also sagte er: "Ich will mich mal in Koblenz erkundigen, ob ich als Zivilarbeiter nach Frankreich kann."

Gleich wurde der Streifensergeant freundlicher: "Eh bien, warum nix sagen. Du fahren nach Coblence. Kamerad dir zeigen, wo melden für travail en France."

In einem Sonderabteil mit Schild "Nur für Angehörige der Besatzungsmacht" rollte Franz Goretzki dann in Begleitung zum Deutschen Eck. Bis Ehrenbreitstein, an die Straßenbahn nach Niederlahnstein, brachte ihn der französische Begleitposten und verwarnte ihn nochmals, sich ja nicht ohne französische Meldezettel an der Zonengrenze blicken zu lassen. Dann fuhr der Kölner allein zur Kaserne Niederlahnstein.

Er zeigte den Zettel vor, den ihm der französische Sergeant mitgegeben hatte. "Deuxième étage!" sagte der Posten am Tor. Im zweiten Stock bekam er nach einer halben Stunde Wartezeit einen Schein vorgelegt: "Du arbeiten in Frankreich? Hier unterschreiben!" Franz unterschrieb. "Du gleich bleiben, heute abend fahren nach Frankreich."

Dem Jungen ging es wirr im Kopf herum. Nicht mehr nach Hause? Was wird die Mutter sagen? Sie hat es nicht leicht mit den vielen Blagen, seit der Vater im Osten gefallen ist und die Not in allen Fugen der düsteren Parterrewohnung zu Hause ist. Der Mann, der nun Vaterstelle vertritt, war nicht nach Franzens Geschmack. Es gab manchen Streit zu Hause.

Dem gehst du aus dem Weg, wenn du jetzt nach Frankreich fährst, tröstete sich der Junge. Es waren ja schon so viele gefahren - zur Fabrikarbeit oder ins Bergwerk.

Am Abend wurde die Reise fortgesetzt, in Begleitung eines französischen Polizisten. Im reservierten Abteil mit fünf etwa gleichaltrigen Burschen, die sich auch arbeitsverpflichtet hatten.

Blaue Soldaten. Am Morgen waren sie in Kehl. Der Franzose ging mit ihnen durch die Stadt zu einem großen Barackenlager, das sie nicht mehr verlassen durften. Alle Papiere wurden ihnen abgenommen. Erst jetzt erfuhren sie, daß sie einen Verpflichtungsschein für die Fremdenlegion unterschrieben hatten. Auf Fluchtversuch stehe Gefängnis, wurde gedroht.

Zehn Tage blieb Franz Goretzki in Kehl. Täglich kamen Neue - Tschechen, Oesterreicher, Polen, Jugoslawen, meist aber Deutsche. Die Mehrzahl hatte sich freiwillig direkt zur Legion gemeldet. Als 500 beisammen waren, rollten sie per Sonderzug nach Marseille.

Fort St. Nicolas nahm sie auf. Die Legionärsanwärter durften den riesigen alten Gebäudekomplex nicht verlassen. Franz Goretzki besaß nur das, was er auf dem Leibe trug - keinen Kamm, kein Waschzeug, keinen Mantel.

Nach einigen Wochen sah er aus wie die anderen: schmutzig, abgerissen, ungepflegt. Die Haare wucherten ihm über den Kragen, ein leichter Milchbart kräuselte sich um das schmutzige Kinn. Er fror und hungerte. Einen Brief durfte er nach Hause schreiben, damit die Mutter wußte, was geschehen war.

Die Oberaufsicht führen alte Legionäre, darunter viele Deutsche. Es sind verwegene Gesellen. Für junge Landsleute haben sie kaum mehr als Schimpfworte und Püffe.

Januar 48: Die Legionärsanwärter werden auf ein Liberty-Schiff verladen. Ueberfahrt nach Oran, unfreundlicher Empfang in Algier. Ein Schnellzug bringt sie ins Landesinnere, nach Sidi bel Abbes, der großen Garnison.

Franz wird eingekleidet. Er bekommt zwei Uniformen und einen Arbeitsanzug, ein Paar schwere Schuhe, die ihm viel zu groß sind, und Wickelgamaschen. Zum Schlafen eine Betonpritsche mit Kokosmatte am Boden eines der 60 Mann fassenden Schlafräume. Als Ausrüstung ein überlanges altes Gewehr mit Dreikantbajonett aus der Vorweltkriegszeit.

Damit wird exerziert. Nach französischen Kommandos. Wer nicht sogleich begreift, daß "Gardez-vous" "Stillgestanden" heißt, dem wird es handgreiflich beigebracht. Dann folgen Gepäckmärsche mit 50 Pfund Sand im Tornister.

Wer schlapp macht, bleibt in der Wüste liegen - ohne Gewehr. Das nimmt ihm der Sergeant ab und gibt ihn so den herumstreunenden Arabern preis, die jede Gelegenheit wahrnehmen, um sich an den Legionären für die Liquidierung von Aufständischen zu rächen. Das sind die Erziehungsmethoden der Legion.

Am härtesten drillen die deutschen Korporale und Sergeanten die neuen "Soldats bleus". Blaue Soldaten werden die Rekruten wegen ihrer blauen Käppis genannt. Erst nach der Ausbildung dürfen sie einen weißen Ueberzug darüberstreifen, wie die alten Legionäre.

Sogar alte Berufssoldaten murren über den Drill, wenn sie unter sich sind. Aber die Fluchtchancen sind sehr gering, denn die Franzosen haben 2000 Francs und fünf dicke Woilachs für jeden eingefangenen Deserteur ausgelobt. Solche Prämie verdienen sich die Eingeborenen-Kopfjäger gern.

Im April 48, nach der Waffenausbildung mit Karabiner, MG und Handgranaten, wird es besser. Die blauen Heinriche bekommen Decken, Mäntel und 5700 Francs Handgeld (annähernd 45 DM). Die monatliche Löhnung, 360 Francs (3 DM), reicht nur für Tabak; für Wein und Mädchen nicht mehr.

Vergeblich sucht Franz Goretzki nach Kameradschaft. Die ehemaligen Kriegsgefangenen, die schon länger in Sidi bel Abbes sind oder von einer anderen Garnison hierher versetzt wurden, sind stumpf und matt. Von einem erfährt Franz Goretzki:

"Sie haben uns erst in der Gefangenschaft weich gemacht. Dann strichen bestellte Mädchen in dünnen Georgetteblusen, kurzen Röcken und nichts darunter um den Stacheldraht. Die kauten Weißbrot oder schmissen die angerauchten Gauloises einen Meter vor den Draht.

"Da sollte unsereins nicht den Lagerkoller kriegen! Wir schrien wie verrückt 'Merde!' und unterschrieben den Revers für die Legion."

Der Rausch war sehr kurz. Dann folgte die Ernüchterung. Auch bei den versprengten Blitzmädchen ehemaliger Luftwaffenstationen in Nordafrika, die nach kurzer Gefangenschaft nach Algier oder Marokko abgeschoben wurden. Oder, auf der Flucht von Amerikanern aufgelesen, in den Oasenstädten landeten, in Meknes, Marakesch, Casablanca.

"Manche haben sich sogar mit Arabern liiert, vogelfrei wie sie waren. In Marakesch sind ihrer 500 in den Bordellen hängengeblieben", berichteten Legionäre, die von Marakesch noch Sidi bel Abbes kamen.

Bullaugen dicht. Am 5. Juni 48 gerät die Legionärstadt in Aufregung. Endlich Abwechslung, hofft Franz Goretzki, als er erfährt, daß er mit 5000 Legionären als Nachschub nach Indochina verschifft werden soll.

Der ehemalige Passagierdampfer "Pasteur" nimmt sie an Bord. Bei der Passage des Suezkanals muß alles unter Deck. Sogar die Bullaugen werden verriegelt, um zu verhindern, daß besonders Tollkühne auf ägyptischen Boden überwechseln.

Im Indischen Ozean erkranken über 800 Mann schwer an Fleischvergiftung. Die tropische Hitze hat die mitgeführten Fleisch-Reserven verdorben, aber der Küchenchef konnte sich nicht entschließen, die Haie damit zu füttern.

Groggy klettern sie am 1. Juli in Hai-Phong, dem Hafen an der Mündung des Song-Hoi-Flusses, in Indochina an Land. Mit Lastwagen werden sie nach Norden geworfen - weiland Hauptsäuberungsfront der etwa 100000 Mann starken französisch-vietnamesischen Armee.

Hauptquartier war damals noch Hanoi, wo am 19. Dezember 1946 die Vietminh-Aufständischen ihre Nacht der langen Messer unter den Kolonialfranzosen zelebrierten.

Die Franzosen schlugen zurück, aber Ho Chi-minh, der mit den Kommunisten Mao Tse-tungs sympathisierende Führer der Aufständischen, bekam weiteren Zustrom. Dagegen führten die Franzosen nun Spahis, Senegalesen und vor allem Fremdenlegionäre ins dschungelhafte gebirgige Kampffeld.

Franz Goretzki wird der 9. Kompanie des 3. Regiments zugewiesen. Jedes Regiment (etwa 3000 Mann) hat 13 Kompanien, eingeteilt in Sektionen, an deren Spitze oft ehemalige Waffen-SS-Dienstgrade stehen. Aber weiter als bis zum Spieß können sie es nicht bringen. Die Offiziere sind ausschließlich Franzosen.

Franz Goretzki stellt das gleiche fest wie in der Garnison in Algier: etwa 85 Prozent der Legionäre sind Deutsche. Obwohl das französische Verteidigungsministerium erklärte, mehr als 30 Prozent einer Nation seien nicht in der Fremdenlegion vertreten.

Trotzdem: es gibt unter den vielen Deutschen kaum ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Nur Mißtrauen und Verschlossenheit. Viele tragen die Blutgruppennummer unter dem Arm.

Wo sich aber eine Freundschaft anbahnt, wird sie gleich zerstört. Absichtlich werden bei der Verteilung des Nachschubs Brüder und Freunde voneinander getrennt. Damit sich nicht Cliquen zusammentun und türmen.

Durch den dichten Dschungel geht es weiter nach Norden, über schmale, kaum befahrbare Straßen, an Götzentempeln, strohgedeckten Bambushütten, alten Wachttürmen und grünen Reisfeldern vorbei. Cao-Bang, nördlich von Long-Sun (inzwischen von den Vietminh-Truppen besetzt), heißt die Ortschaft, in deren Nähe Franz Goretzki und seine 9. Kompanie eingesetzt werden.

Während des Anmarsches bekommen sie ihre Feuertaufe. Ein nächtlicher Ueberfall durch die Vietminh kostet drei Tote. Die Straßen sind aufgerissen und vermint. Unversehens knallen aus dem Wald Schüsse. Der Gegner ist weder zu sehen noch zu fassen.

Als Verpflegung gibt es jetzt englische Truppen-Rationspakete. Aber auch die sind durch die Hitze und Feuchtigkeit meist verdorben, verdorben wie das Reisbrot, bei dessen Konsum europäische Mägen revoltieren. Als Medizin wird mittags eine Tasse französischen Rotweins ausgegeben.

Eines Tages rutschen Franz Goretzki die Beine unter dem erschöpften Körper weg. Er bleibt am Rande einer Serpentine liegen. Der Sergeant nimmt ihm die Waffen ab. Goretzki ist reif für die Partisanen, die sich auf die Versprengten stürzen. Sie rächen jede Repressalie des grausamen Dschungelkampfes.

Die französischen Kolonialherren greifen zu drakonischen Maßnahmen. Oft brechen Gefangene, mit Benzin übergossen und dann angezündet, als lodernde Fackeln an den Reisfeldern zusammen.

Franz Goretzki will noch nicht auf der Strecke bleiben. Er rafft sich wieder auf, schleppt sich mit der Kompanie weiter, aus Angst, allein überfallen und gefoltert zu werden.

Nach drei Wochen ist er fest entschlossen, sich in die indochinesischen Dschungelbüsche zu schlagen.

Manchmal schallen des Nachts in deutscher Sprache Lockrufe aus dem Dunkel zwischen den weichen Fronten. Ehemalige Waffen-SS-Leute, Deserteure der Legion, die zu den Vietminh-Partisanen überwechselten, rufen durch primitive Megaphone: "Deutsche, laßt euch nicht verheizen, kommt rüber zu uns!"

Für Goretzki erscheint die chinesische Grenze lockender. Am 26. Juli meldet er sich bei seinem deutschen Sergeanten ab, um Wasser zu holen.

Er nimmt zwei Kanister und seinen Karabiner, ohne den kein Legionär einen Schritt tut.

Daß er außerdem noch seine gesamte Munition (150 Schuß) bei sich trägt, übersieht der französische Leutnant, der ihm seine Feldflasche zum Auffüllen mitgibt.

Ohne auffällige Hast verläßt Goretzki das Zeltlager seiner Kompanie, bis er unten am Fluß an der Wasserschöpfstelle angelangt ist. Dann wendet er sich um - nein, es ist ihm niemand gefolgt. Weg die Kanister und das Flußufer entlang, der Grenze entgegen!

Am Spätnachmittag sieht er Hütten vor sich. Aus einer stürmt plötzlich ein Vietminh mit seinem Kup-Kup, einem langen geschwungenen Messer. Franz geht hinter einem Felsen in Deckung. Er zielt ruhig. Als der Schuß bricht, liegt der Kup-Kup-Schwinger tot auf dem Bauch.

Da stürzen aus allen Häusern kleine, schmutzige Männer von negroidem Aussehen. Goretzki hält sie sich mit weiteren Gewehrschüssen vom Leib, springt dann in den nahen Fluß und läßt sich von der Strömung mitreißen.

Erst viele hundert Meter flußabwärts geht er wieder an Land. Spät abends erreicht er das erste Dorf jenseits der Grenze. Er ist gerettet - in China!

Dienst bei der Feuerwehr. Die chinesischen Grenzsoldaten sind zuerst sehr mißtrauisch, aber als ihnen der desertierte Legionär begreiflich macht, daß er Deutscher ist, der in die Legion gepreßt wurde, geben sie ihm zu essen und trinken und abends ein bequemes Schlaflager.

Vierzehn Tage bleibt er im Grenzdorf. Da wird es ungemütlich, als französische Offiziere vom 9. Regiment herüberkommen, um mit nationalchinesischen Militärs koordinierte Maßnahmen gegen Ho Chi Minhs Revoluzzer zu beraten.

Der chinesische Patrouillenführer hat Verständnis für Franzens Befürchtungen. Er steckt ihn in eines der festen Offiziersziegelhäuser und läßt ihn tüchtig füttern - mit Reis, Geflügel, Schweinefleisch und eingelegtem Gemüse, bis er wieder zu Kräften gekommen ist.

Dann wird er in die Garnisonstadt Loung-Tschou abgeschoben. 33 km Fußmarsch. In Loung-Tschou bleibt Franz fast drei Monate. Außer ihm ist nur noch ein Europäer in der kleinen Stadt. Das ist der französische Missionar, dem Franz auf keinen Fall begegnen will.

Oktober 48 treffen drei weitere Ex-Legionäre in Loung-Tschou ein, denen ebenfalls die Flucht über die Grenze geglückt ist: Günter Erhardt aus Dresden, Joseph Rychtera, ein Tscheche aus Prag, der in den letzten Kriegsjahren in der deutschen Wehrmacht gedient hat, und James P. Ryan, ein amerikanischer Matrose, der in San Remo im Alkoholrausch in die Schlingen der Fremdenlegion geriet.

Franz war froh, nun Kumpanen zu haben, denn im Raum von Loung-Tschou wurde es auch bedrohlich. Bandenüberfälle am hellichten Tage. Kriminelles Räubergesindel machte sich die politischen Spannungen zwischen Maos Kommunisten und Tschiangkaischeks desorganisierten Heerhaufen zunutze.

Unauffällig brachten chinesische Polizeibeamte in Zivil die vier Legionäre nach Nanning am Ju-Kiang-Fluß. Sie mußten bei der Feuerwehr Dienst tun. Aber die Feuerwehr-Episode dauerte nur kurze Zeit. Inzwischen hatten auch die Regierungsstellen in Kanton von den Legionären gehört.

Der Westdeutsche, der Ostdeutsche und der Tscheche bekamen Order, sich bei der Fremdenpolizei in Kanton zu melden. Sie wurden für sechs Wochen festgesetzt. Den amerikanischen Matrosen holte sich der amerikanische Assistent Naval Attaché Ledwin A. Buchanan über Kanton nach Hongkong, wo er peinlich vernommen wurde.

Aber James P. Ryan blieb dabei, man habe ihn in San Remo regelrecht entführt. Darauf fragte der amerikanische Marineattaché bei seinem französischen Kollegen sehr spitz an, wie es möglich sei, daß ein Soldat der US-Navy in einem von den Alliierten besetzten Land für die Fremdenlegion gekidnapped werden könne.

Gelassen antwortete der Sprecher des französischen Verteidigungsministeriums im März 49 in der englisch-sprachigen Kantoner Zeitung "Chinaman":

"Wir haben es gar nicht nötig, jemand für die Fremdenlegion zu kidnappen, weil viel mehr junge Menschen wünschen, in die berühmte Legion aufgenommen zu werden, als wir überhaupt einstellen können. Die meisten Freiwilligen sind Deutsche. Wir nehmen nur die besten erfahrenen Berufssoldaten."

Franz Goretzki (der diese Druckzeilen heute noch als Zeitungsausschnitt in seiner Brieftasche herumträgt) überdachte nach mühsamer Uebersetzung im Gefängnis seine berufssoldatischen Qualifikationen: Brandbomben in Köln gelöscht, im zweiten Weltkrieg Pimpf gewesen.

"Aber es war wenigstens ein fideles Gefängnis", erinnert sich Franz Goretzki an seine Kantoner Haftwochen. "Wir bekamen reichlich zu essen, zu trinken, zu rauchen und durften beliebig Besuch empfangen."

"Wenn es auch keine geschlossene deutsche Kolonie mehr in Kanton gab, so hielten doch die chinesisch-versippten Deutschen - meist Frauen, die mit Chinesen verheiratet sind und deshalb auch nach dem Krieg in China bleiben durften - fest zusammen. Als sie erfuhren, daß zwei Deutsche im Kittchen saßen, nahmen sie sofort mit uns Verbindung auf!"

Inzwischen hatte auch die evangelische Berliner Mission von Kanton an Franzens Mutter Frieda Goretzki in Köln-Ehrenfeld geschrieben, wie es ihrem Sohn ergangen war und gebeten, die für die Haftauslösung benötigten Personalpapiere sofort einzusenden.

Ein halbes Jahr vorher hatte ihr das Commandement en Chef Francais en Allemagne, Berlin-Halensee, Kurfürstendamm 96, etwas geschrieben, was sie nicht begreifen konnte, weil schon die Prämisse des Schreibens eine Lüge war:

"Von den alliierten Truppen gefangengenommen, konnte sich Ihr Sohn nicht dazu entschließen, das Los eines Kriegsgefangenen auf sich zu nehmen, der Monate, wenn nicht Jahre hinter Stacheldraht verbringen muß. Aus diesem Grunde zog er das freie, aber gefahrvolle Soldatenleben vor und trat so als Freiwilliger der Fremdenlegion bei.

"Soeben erhalten wir von Paris die Nachricht, daß er seit dem 26. Juli 1948 bei den Kämpfen in Indochina im Raume von Choc My (Tonkin) als vermißt gemeldet wird. Es besteht die Möglichkeit, daß es sich nur um ein vorübergehendes Vermißtsein im indochinesischen Busch handelt und seine Vorgesetzten rechnen damit, Ihren Sohn doch wieder in ihren Reihen zu sehen."

Erst durch das Schreiben der Mission erfuhr Mutter Goretzki, wo ihr Junge, den sie eineinhalb Jahre vorher nach Kartoffeln geschickt hatte (der aber niemals Soldat, geschweige denn Kriegsgefangener gewesen war), wirklich steckte. Postwendend schickte sie die benötigten Papiere nach Kanton.

Abends bei Frau Ruth. Auf freiem Fuß blieb Franz Goretzki drei Monate lang bei der deutschen Mission im Vorort Ha-Fong-Tsuen. Dann lernte er Ruth Kong kennen, die Frau eines chinesischen Arztes, 24jährige ehemalige Berlinerin.

1946 war sie mit ihrem heute 37jährigen Mann, Dr. med. Kong; nach Kanton ausgewandert. Mehr aus Furcht vor Hunger und Russenplage als aus Liebe. Dr. Kong war 15 Jahre in Berlin gewesen. Als Student und später als Arzt der gelben Diaspora an der Spree. Auf Wunsch seiner Frau nahm er Landsmann Goretzki in seinem Hause auf.

Dr. Kong besorgte ihm einen Job in dem von der UNRRA eingerichteten Hospital Kanton-Shameen. Dort arbeitete Franz tagsüber als Krankenpfleger, abends vertrieb er Frau Ruth die Langeweile, denn ihr Mann war oft unterwegs.

Das Idyll währte bis zum 15. Oktober 49. Dann zogen Maos Rotchinesen in Kanton ein. Augenzeuge Goretzki: "Voraus gingen wochenlange Geplänkel im Vorfeld der großen Stadt mit Partisanen und Banden. Der kriminelle Mob tobte sich aus. Aber als die Roten kamen, verlief sich auch das Gesindel, denn die hängten jeden Ruhestörer auf."

Als letzte Tat sprengten die zurückweichenden nationalchinesischen Reste die große Brücke über den Perl-Fluß. 2000 Menschen, die auf der Brücke standen oder unter dem Bogen Schutz vor dem Beschuß gesucht hatten, kamen ums Leben.

Die Kommunisten machten Dr. Kong zum Chefarzt und seinem Krankenpfleger Franz honorige Offerten. Voraussetzung: Eintritt in die kommunistische Partei Chinas. Franz und sein chinesischer akademischer Freund baten sich Bedenkzeit aus.

Bei der Neuregistrierung am 15. Mai wurde Franz besonders kritisch unter die Lupe genommen. Er sollte für die Kommunisten optieren oder das Land verlassen.

Franz Goretzki verließ Rotchina, trotz der Tränen von Ruth Kong. Unbehindert durfte er nach Hongkong ausreisen, wo er dem britischen Konsul als Rückkehrer in die britische Besatzungszone der westdeutschen Bundesrepublik avisiert wurde.

Schnauze voll. Zum Schluß noch acht Wochen Hongkong - als Hospitant in einem britischen Seemannsheim bei freier Kost und freiem Logis. Versuchung, in der waffengespickten Seefestung, in der 30000 britische Soldaten Gewehr bei Fuß stehen, unterzutauchen, wie es ein schwarzes Hongkonger Chinagirl wollte, das jetzt in Pidgin-englisch sehnsüchtige Briefe nach Köln-Ehrenfeld schreibt. Dann werden Anfang August Reisepaß und Passageticket für den holländischen Steamer "Mariekerk" ausgehändigt.

Am 19. August ging Franz Goretzki an Bord, gut gekleidet, mit zwei Koffern und der Vorwarnung: Sei wachsam, auch der französische Konsul hat erfahren, daß der desertierte Fremdenlegionär Franz Goretzki jetzt seine Heimreise antritt.

Nach einem Abstecher über Manila dampfte die "Mariekerk" durch den Indischen Ozean und das Rote Meer dem Suezkanal entgegen. Als sie bei Port Said vor Anker lag, rauschte nur 50 Meter entfernt die "Pasteur", das Legionärschiff, das Franz Goretzki 1948 nach Indochina gebracht hatte, an ihm vorüber. An der Reeling stand Schulter an Schulter neuer Legionärsersatz - zum Verheizen bei Laokay und Hanoi.

Bis Genua lief alles richtig. Dann erfuhr Franz, daß die "Mariekerk" auf der Weiterfahrt in Marseille anlegen werde.

"Da habe ich gemacht, daß ich von Bord kam. Einen Engländer, mit dem ich mich unterwegs angefreundet hatte, zog ich ins Vertrauen. Er gab mir noch etwas Geld."

Seine Koffer ließ er im Stich. Sonst hätte man ihm nicht geglaubt, daß er nur mal während des Anlegens der "Mariekerk" fünf Minuten von Bord wollte.

Franz ließ die "Mariekerk" fahren, wie in Hongkong das Chinagirl, und nahm dann am nächsten Tag das Schwesterschiff "Lissekerk", das ohne Zwischenstation über Gibraltar nach Amsterdam dampfte.

Dort suchte Franz nun den Liegeplatz der "Mariekerk" und unter ihrem Deck seine beiden Koffer. Der größere war gestohlen. Aber darüber tröstete sich Franz, als er von der Besatzung erfuhr, wie das Schiff in Marseille seinetwegen durchsucht worden war. Die französische Hafenpolizei wollte nicht glauben, daß kein Franz Goretzki mehr an Bord war und leuchtete in alle Ecken.

In Amsterdam mußte Franz noch vier Tage in Fremdenpolizei-Gewahrsam. Dann gab ihm der Vertreter der deutschen Interessen das Einreisevisum nach Deutschland. Dieser Vertreter war - in Ermangelung eines noch nicht eingesetzten deutschen Konsuls - ausgerechnet der französische Konsul. Aber ihm war Franz Goretzki offenbar nicht signalisiert worden.

Am 5. Oktober wurde Franz von holländischen Polizisten an die Grenze bei Venlo transportiert. Von dort nahm ihn ein belgischer Lastkraftwagen nach Köln mit.

Als er in das kleine graue Haus Senefelder Straße 10 einbog, hatte er einen Koffer voll Souvenirs statt eines Rucksacks voll Kartoffeln. Und trotz dreijähriger kostenloser Weltreise "die Schnauze restlos voll von der Fremdenlegion ..."

DER SPIEGEL 46/1950
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Journal et feuille d'avis du Valais et de Sion 13/10/1950

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